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Aus der ZeitschriftSZS 3/2009 | S. 181–181Es folgt Seite №181

Praktikabilität und Einzelfallgerechtigkeit im Sozialversicherungsrecht

Alfred Maurer hat einmal im Blick auf die in der Privatassekuranz verwendeten «Gliedertabellen» geschrieben, de lege ferenda wären durchaus auch im Sozialversicherungsrecht «pauschalisierende» Invaliditätsbemessungen denkbar, die ebenso gerecht wären wie die geltenden Bemessungsmethoden. Die Vorteile lägen auf der Hand: einfacherer Vollzug und grössere Transparenz. Der individualisierende «Schadenersatzcharakter», wie er heute dem Leistungssystem eigen ist und durch Gesetzgeber wie Rechtsprechung laufend vorangetrieben wird, trägt nachhaltig zur Komplexität und damit auch zur Undurchsichtigkeit bei.

Die Berücksichtigung der Praktikabilität ist aber auch de lege lata nicht ganz ausgeschlossen. Das Bundesgericht nimmt denn auch immer wieder auf sie Bezug, wie die Lektüre der Beiträge des vorliegenden Schwerpunkteheftes zeigt. Liesse sich aber nicht mehr tun? Ein Beispiel zeigt das Dilemma: Schon vor Jahren haben Thomas Locher und Ernst A. Kramer, neben andern Autoren, vorgeschlagen, beim Entscheid über die Kausalität nach sog. «Schleudertrauma» auf eine «Harmlosigkeits-grenze» abzustellen. Damit könnte man sich tatsächlich einen enormen wie teuren Untersuchungsaufwand ersparen, zumal dieser ohnehin häufig zu wenig glaubwürdigen Resultaten führt. Die Gegner rechtfertigen die Praxis aber mit dem Argument, in keinem einzigen Fall dürfe ein Unfallopfer um seine Rechte gebracht werden. Das Bundesgericht selbst lehnt die Harmlosigkeitsgrenze ab, ohne indessen auf das Praktikabilitätsargument einzugehen (BGE 134 V 120 Erw. 8.3).

In der sozialversicherungsrechtlichen Literatur fristet das Thema ein Mauerblümchendasein. Das vorliegende Heft möge den Auftakt für eine vertiefte Diskussion bilden. Der grosse Dank der Redaktion geht an die Autoren Alain Anderhub, Gion Pieder Casaulta, Thomas Gächter, Ueli Kieser, Klaus Mathis, Markus Moser, Adriano Previtali, Marco Reichmuth und Daniel Wyss. Der Beitrag von Klaus Mathis und Alain Anderhub kann aus Platzmangel leider erst im nächsten Heft erscheinen.

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